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17.12.2021 Andreas Kunz

Hinz & Kunz - Wortnester

Wortnester und Etymologie

Im Griechischen steht etymos für wirklich, wahrhaft; logike für die Lehre vom Denken. Die Etymologie ist somit die Wissenschaft vom Ursprung der Wörter. Für alles Sicht- und Denkbare gibt es Begriffe, in den verschiedenen Sprachen beispielsweise für einen bestimmten Gegenstand unterschiedliche, ähnliche oder verschiedene. Vor allem in den meisten europäischen Sprachen gibt es auffällige Ähnlichkeiten. Oft bezeichnen gleiche oder ähnliche Begriffe in den verschiedenen Sprachen den gleichen Gegenstand, häufig sind die Bedeutungen eines gleichen oder ähnlichen Begriffs in den verschiedenen Sprachen aber auch unterschiedlich. Das deutsche klein hat etymologisch gesehen seine Entsprechung im Englischen in clean. Die offizielle Übersetzung von klein lautet im Englischen natürlich small. Dieses Adjektiv gehört wiederum im Deutschen allerdings zu schmal. Dennoch gehen diese Begriffe trotz ihrer unterschiedlichen heutigen Bedeutungen auf gemeinsame Wortnester zurück, die sich vor etwa 6.000 Jahren innerhalb der sogenannten indoeuropäischen Ursprache entwickelt haben - eine Sprache, von der nur aufgrund von logischen Konstruierungen angenommen wird, dass es sie gegeben haben muss und dass sie die Mutter- oder Ausgangssprache vieler heute noch lebendiger Sprachen war. Ein Wortnest war somit eine Wurzelform, die bei der Weiter- und Neuentwicklung von Sprachen »mitgenommen« wurde, sich aber aufgrund historischer Veränderungen wie Grammatik-Entwicklung oder Lautverschiebungen verändert haben.

Das Wortnest für klein ist glei und bedeutete ursprünglich »kleben, schmieren«, hatte also zunächst nichts mit der heutigen Bedeutung im Sinne von »kurz, geringfügig, jung, kleinformatig« zu tun. Als westgermanisches Adjektiv klainja stand es für »verputzt, poliert, eingeschmiert« oder »mit Fett bestrichen«. In der nächsten Phase der Sprachentwicklung zum heutigen Hochdeutsch hin findet sich im Althochdeutschen der Begriff kleini = »glatt, glänzend, sauber, sorgfältig, zierlich, dünn, gering«. Im darauffolgenden Mittelhochdeutsch mutierte dieser Begriff zu klein(e) = »rein, niedlich, zierlich, fein«. Nun war es nicht mehr weit zum heutigen klein mit der allseits bekannten und verwendeteten Bedeutung.

Was die englische Sprache betrifft, so ist diese genau genommen keine »Fremdsprache«, sondern mit der deutschen Sprache verwandt. Beide Sprachen haben sich aus einer ursprünglich gemeinsamen (west-)germanischen Sprache entwickelt und dabei unterschiedliche Einflüsse - auch durch andere Sprachen - erfahren. In unserem Beispiel (klein-clean) waren die Sprecher des Englischen schlichtweg konservativer und beließen es bei der ursprünglich germanischen und damit auch der indoeuropäischen Wortnest-Bedeutung.

Und wie verhält es sich mit schmal zu small? Das gemeinsame Wortnest (welches natürlich auch für etliche andere Sprachen gültig ist - nicht nur für Englisch und Deutsch) ist (s)mel, was tatsächlich klein (im heutigen hochdeutschen Sinne) meinte. Einige frühe Haustiere (Kleinvieh) in verschiedenen indoeuropäischen »Folge-Sprachen« sind diesem Wortnest auffallend ähnlich (Armenisch mal für »Schaf, Widder«, Griechisch melon für »Schaf, Ziege«; im Niederländischen bezeichnet man die junge Kuh mundartlich als maal). Gleichzeitig hatte damals das eigene Vieh auch die Bedeutung des heutigen englischen fee, womit also der eigenen Wohlstand beziffert werden konnte. Somit bezog sich dieses Wortnest in den sprachlichen Anfängen vor allem auf Tiere.
Nun also wieder vom indoeuropäischen Wortnest (s)mel zur germanischen Sprache, wie bereits oben erwähnt noch ohne Differenzierung in Englisch, Deutsch, Dänisch, Schwedisch, Isländisch... Zunächst entwickelte sich das Wortnest (s)mel zu smala, woraus übrigens im Lateinischen (ohne S-Anlaut) malus = »gering«, später auch »schlecht« wurde. Im Russischen steht malyj übrigens für »klein«.
Im Althochdeutschen und auch später im Mittelhochdeutschen findet sich smal, weiterhin »klein« oder »gering« bedeutend. Die nachfolgende Reduzierung der Bedeutung von schmal im heutigen Sinne von »eng, nicht breit« erfolgte wieder nur in der deutschen Sprache. Auch hier ist die englische Sprache also »näher am Original«.

Die Beschäftigung mit Wortnestern hilft somit auch, sogenannte »Falsche Freunde« zu verstehen, warum gleiche oder ähnliche Begriffe in verschiedenen Sprachen eben auch sehr unterschiedliche Bedeutungen haben können.

17.12.2021 Andreas Kunz