title
04.10.2021 Andreas Kunz

Hinz & Kunz Sprachgeschichte: Indoeuropäisch oder Indogermanisch?

Bei der Beschäftigung mit der Sprachgeschichte stößt man unweigerlich auf die Begriffe Indoeuropäisch und Indogermanisch. Beide Bezeichnungen sind sprachwissenschaftlich akzeptiert und in ihrer Bedeutung deckungsgleich. Sie stammen aus dem 19. Jahrhundert, als das Verbreitungsgebiet einer angenommen Ursprache geografisch mit Indien und Europa begrenzt wurde. Auch Sprachen wie Armenisch, Indisch und Iranisch gehören zur indoeuropäischen oder indogermanischen Sprachfamilie.

Die Entstehung einer solchen Ursprache, aus der sich die Indogermanische (oder Indoeuropäische) Sprachfamilie entwickelt hat, ist allerdings weder in Indien noch in Europa anzusiedeln. Als Ursprung gelten die Steppengebiete Osteuropas. Aufgrund bedeutsamer Ähnlichkeiten vieler auf gemeinsame Wortnester zurückgehende Begriffe und der Rekonstruierbarkeit einer gemeinsamen Sprachgeschichte musste eine gemeinsame Ausgangssprache angenommen werden, deren Anfänge vor etwa 8.000 Jahren anzusiedeln sind.

In den Anfängen der indoeuropäischen Sprachforschung galten die vor allem in Westeuropa ursprünglich beheimateten keltischen Sprachen noch als nicht zu dieser Sprachfamilie gehörig. Als äußere Sprachgrenze galt damals noch die isländische Sprache.

1810 verwendete der dänisch-französische Geograf Conrad Malte-Brun den Begriff indo-germanique erstmals. Der deutsche Linguist Heinrich Julius Klaproth schrieb daraufhin von den indogermanischen Sprachen.
Der deutsche Sprachwissenschaftler Franz Bopp entschied sich für den von dem englischen Physiker Thomas Young eingeführten Begriff Indo-European languages = indo-europäische Sprachen.

Auf einen nationalistischen Hintergrund für die Verwendung des Indogermanischen ist jedoch nicht zwingend zu schließen, da die Germanische Sprache (besser: Germanische Sprachen) nicht als Vorläufer der deutschen Sprache zu sehen ist, sondern eine Sprachgruppe innerhalb der Indoeuropäischen Sprachfamilie bilden. So gehören beispielsweise auch Sprachen wie Englisch, Dänisch, Schwedisch zu der Sprachgruppe des Germanischen - also vor allem die in Nordeuropa beheimateten Sprachen. Die beiden anderen großen Sprachgruppen des Indoeuropäischen in Europa sind das Slawische und das Romanische.

Andererseits lassen sich nicht alle in Europa noch gesprochenen Sprachen aus dem Indoeuropäischen ableiten. So sind die nationalen Landessprachen Finnisch, Estnisch und Ungarisch einer asiatischen Herkunft zuzuordnen, was bereits an der Fremdheit der meisten Wörter zu erkennen ist - zumindest aus Sicht eines Vertreters einer indoeuropäischen Sprache.

Da der Begriff des Indoeuropäischen jedoch alle zugehörigen Sprachgruppen deutlicher einschließt als der des Indogermanischen, erscheint der Begriff mit namentlichem Bezug zu Europa zumindest sinnvoller.

04.10.2021 Andreas Kunz